Dust & Diesel Rallye #3: Durch die Westsahara gen Süden.

von Elisa | take an adVANture
Grenzübergang Westsahara Mauretanien

Roadtrip Westsahara. Nachdem uns die Rallye durch Nord, Ost und Süd von Marokko geführt hat, wir vorbei an blühenden Wiesen, Wäldern und Wüsten gefahren sind, geht es nun hinein in ein Land, das derzeit keines ist und dessen nahe Vergangenheit aus Okkupation und Annexion besteht. Zuerst durch die Spanier, jetzt sind es die Marokkaner, die dieses Gebiet aus Sand, Staub und Phosphat für sich beanspruchen und den Großteil der Westsahara gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung, der Sahrauis, beherrschen.

Von diesem andauernden Konflikt merken wir in dem Moment aber nichts. Stattdessen verbringen wir den ersten Abend mit Blick auf Felsformationen am Rand der Sebkha Oum Dba, einer Senke mit Abbruchkante und Salzsee im Hintergrund. Der Wind fegt über die flache Ebene und wirbelt die Sandkörner auf. Wir stellen unsere Autos wieder ins Quadrat, die Schiebetüren in die Mitte öffnend, zum Schutz und für die eigene Gemütlichkeit.

>>> Campingplatz: Le Camp Bédouin

Westsahara Le Camp Bedouin
Camping in der Westsahara Beduinenzelte
Sebkha Oum Dba

Ein kurzer Roadtrip in die Westsahara hinein.

Die Präsenz von Militär und Polizei steigt mit jedem Kilometer Richtung Süden, hauptsächlich am Ortsein- und -ausgang an stationären Einrichtungen. Die damit einhergehenden Kontrollen sind obligatorisch, das Prozedere ist dabei fast immer das gleiche: „Ca va?“ „Ca va bien, merci!“ „Fiche?“ Wir reichen dem Beamten einen A4-Zettel, einen sogenannten „Fiche“, auf dem fein säuberlich alle Daten vom Auto, vom Fahrer und vom Beifahrer aufgelistet sind, bis hin zum Namen der Eltern. Dieser Zettel, den wir, rund zweidutzend Mal kopiert, immer griffbereit zwischen uns liegen haben, erspart uns jede Menge Zeit. In der Regel beschränken sich die Kontrollen auf die Überprüfung des Reisepasses, der Soldat oder Polizist muss dabei alle relevanten Daten in ein Buch eintragen. Bekommt er aber eben diese Angaben schon fertig ausgefüllt in die Hand gedrückt, dann hat sich die Sache für ihn und für uns auch schon erledigt. Eine Übereinstimmung zwischen Zettel und Realität wird nicht überprüft, ein freundliches „Au revoir“ zugerufen und schon können wir weiterfahren. Einzig gleich zu Beginn, in Laâyoune, reihen sich Missverständnisse und Kommunikationsschwierigkeiten sowie Machtspielereien aneinander und schlussendlich werden wir mit Polizeieskorte durch den Ort geführt. Bis zum Ende der Reise haben wir dann fast alle Fiches aufgebraucht.

Es ist nicht mehr so heiß, öffnet man das Fenster, weht ein fast schon kühler Wind ins Wageninnere. Das Meer liegt zwar in Sicht- und Hörweite, wegen der hohen Klippen und des unbefestigten Streifens zwischen Straße und Küste aber irgendwie doch weit entfernt. Das ganze Drumherum, die Aussicht vorne wie hinten, ist auch nach über 200km Fahrt noch immer die gleiche. Keine Vegetation, keine Berge, keine Abwechslung. Die Pausen beschränken sich auf das Nötigste. Ich glaube die wahren Schätze der Westsahara liegen verborgen im Landesinneren und zeigen sich nur dem, der sich die Zeit dafür nimmt.

N1 in der Westsahara
Kite Surfer in Dakhla

Schon als kleines Kind konnte ich während der Fahrt hervorragend im Auto schlafen. Das gleichmäßige Dröhnen wirkt, in Kombination mit einer Eintönigkeit der vorbeiziehenden Landschaft, wie ein natürliches Schlafmittel, rezeptfrei und ohne Nebenwirkungen. Auch jetzt fallen meine Augen in regelmäßigen Abständen immer wieder zu und ich merke im Halbschlaf, wie mein Kopf im Takt der Schlaglöcher hin und her wackelt. Die N1 ist der einzige direkte Weg durch die Westsahara Richtung Mauretanien und verbindet auf knapp 2.400 km den Norden Marokkos mit dem Westen. Manchmal hat man hier das Glück, dass beide Spuren durchgängig befestigt sind, manchmal aber eben nicht. Dann wechseln wir auf die Seite mit mehr Asphalt und fahren Slalom um den Gegenverkehr. Dakhla, unser letzter Halt bevor wir nach Mauretanien einreisen, kündigt sich schon von weitem mit bunten Tupfern am Horizont an. Die Stadt gilt als Eldorado für Wind- und Kite-Surfer und jetzt, in den Abendstunden, zeigen sich gut 100 von ihnen an der Küste der Halbinsel.

Dakhla.

Dakhla ist eine mittelgroße Stadt, nicht besonders hübsch, aber auch nicht wirklich hässlich. Das grelle Licht der hochstehenden Sonne taucht Häuser, Autos und Menschen in ein helles Beige, alles wirkt irgendwie leicht pastellig. Ich schiebe meine Sonnenbrille vom Kopf auf die Nase, ein Filter, der vor dem Licht schützt und mich die Umgebung inkognito beobachten lässt. Trotz der Abgeschiedenheit, immerhin sind es bis zur nächsten großen Stadt über 500 km, hält der Tourismus langsam Einzug. Wir hören von großen Hotelanlagen, die in Planung sind, sehen davon aber noch nicht viel. Alles wirkt entspannt, vielleicht etwas zu ruhig, was dem Ramadan geschuldet ist. Der Campingplatz, ein staubiger Platz mit einer Mauer drumherum, ist eine schnelle Notlösung, nichtsdestotrotz aber mehr Luxus, als ich es erwartet habe und eigentlich auch gewohnt bin.

Häuser in Dakhla
Orangenverkauf in Dakhla in der Westsahara
Krebs am Strand in Dakhla

Für die Verpflegung durch Mauretanien und für einen geplanten Grillabend in großer Runde, schauen wir uns nach dem örtlichen Markt um. Ein paar Mal biegen wir falsch ab, landen mit unserer kleinen Kolonne in engen Gassen und finden schlussendlich Parkplätze in Laufweite. Mitten im Zentrum der Stadt, deren Stadtbild einem Muster aus Schachbrett und Mosaik gleicht, liegt das unscheinbare Gebäude, das Fisch und Fleisch, Obst und Gemüse, Brot und Reis, Gewürze und noch so unglaublich viel mehr beherbergt. Hier gibt es keine automatische Schiebetür am Eingang, keine Klimaanlage im Dauerbetrieb, kaum etwas in Plastik verschweißt oder in Dosen abgepackt. Das, was jetzt folgt, ist ein Rausch für alle Sinne.

Den Anfang macht der Duft von frischem Fladenbrot. Zu hunderten liegen sie hier aufgeschichtet auf dem großen Holztisch. Ich muss mich weit nach vorne strecken, auf Zehenspitzen stehend, um dem Händler über das Brot hinweg das Kleingeld zu geben. Wir lassen uns weiter durch die Markthalle treiben, die aus vielen Gängen, Ecken und Kuppeln besteht. Neben uns liegt fangfrischer Fisch, in Kisten auf Eis gekühlt. Danach folgt Obst und Gemüse. Kartoffeln und Möhren türmen sich zu kleinen Pyramiden, der Kohl reicht bis fast unter die Decke. Keine nach psychologischen Kenntnissen perfekt ausgeleuchtete Vitrine auf sterilem Boden steht hier vor mir. Stattdessen befinde ich mich in einer Nische, in der man sich kaum drehen kann, ohne das man dabei an den Zwiebeln hängenbleibt. Der Verkäufer zählt und wiegt, rechnet alles am Taschenrechner zusammen und hält einem das große Ziffernblatt höflich entgegen. Umgerechnet nur ein paar Euro, mehr müssen wir für die dünnen Stoffbeutel voller Karotten, Kartoffeln, Zwiebeln, Äpfel, Orangen und frischer Minze nicht zahlen.

Gemüse im Markt in Dakhla
Markt in der Westsahara in Dakhla
Einkaufen in Dakhla

Wir schlendern noch weiter durch die vielen Hallen, wo jede für sich für ein Thema steht. Beim Fleisch braucht es schon ein etwas stärkeres Gemüt, denn das hängt hier an großen Edelstahlhaken so, wie das Tier nunmal aussieht. Diese Markthalle, innen und außen, ist nicht einfach nur ein Gebäude, in dem man seinen Wocheneinkauf tätigt. Es ein Ort der Kommunikation und für viele fester Bestandteil des täglichen Lebens. Hier trifft man sich und tauscht den neuesten Klatsch und Tratsch aus. Ich sehe Männer, die sich mit kräftigem Druck die Hände schütteln und auf die Schultern klopfen. Frauen winken sich freudestrahlend schon von weitem zu und laufen dann angeregt unterhaltend nebeneinander her. Es ist ein Potpourri aus Farben, Geräuschen und Gerüchen, etwas, was Seele und Körper gleichermaßen berührt. Man möchte in diesem Moment nur der stille Beobachter sein, eigentlich unsichtbar, und sich an die vielen Situationen heranschleichen, über die Schultern schauen und lauschen. Nichts mehr, als einen Luftzug hinterlassend.

Was später noch folgt, das ist eine wahre Freude für alle Selbstmacher und Rumbastler: Ein DIY-Grillrost in Übergröße, zusammengeschweißt ohne Schweißgerät. Alles, was man dafür benötigt, ist Bewehrungsstahl, Maschendrahtzaun, drei Autobatterien, Starthilfekabel, Elektrode und eine Zange. Die Autobatterien werden mit Hilfe der Starthilfekabel in Reihe geschalten, der Massepol kommt an den Stahl, am anderen Ende befindet sich die Zange mit der Elektrode. Easy peasy und et voilà.

Schweißen mit Autobatterien

Dakhla – Mauretanien

Es sind noch knapp 380km durch die Westsahara bis zur Mauretanischen Grenze. An einigen Stellen der Straße holt sich die Natur zurück, was ihr gehört und versperrt mit Sandverwehungen den direkten Weg. Ich bin etwas aufgeregt, waren die Ansagen des letzten Briefings doch klar und eindeutig. Zusammenbleiben, den Anweisungen folgen, keine Fotos und Vorsicht vor den Minen. Denn wir fahren durch einen Abschnitt der Westsahara, Niemandsland, das lange umkämpft war und derzeit den Sahrauis und den Freiheitskämpfern der Frente Polisario inoffiziell zugesprochen wurde. Zuerst aber geht es in Kolonne der ersten Grenze entgegen. Schon einige Kilometer davor türmen sich neben uns riesige LKWs auf, so hoch wie ganze Einfamilienhäuser und lang wie zwei. Alte überladene Fahrzeuge, deren Fahrer draußen auf die Weiterreise warten. Und das anscheinend schon eine ganze Weile. Wir fahren langsam an der Schlange vorbei, müssen zwischendurch aber kreuz und quer parkenden LKWs ausweichen. Einer hat sich bei einem misslungenen Überholmanöver im weichen Sand festgefahren, ein anderer steht schräg mit platten Reifen am Straßenrand. Es ist eine dieser Momentaufnahmen, die sich fest ins Gedächtnis einbrennt und einen Teil der Erinnerungskiste auffüllt. Auch noch Wochen danach weiß ich um die Gedanken, die ich bei diesen Kilometern hatte, wie es roch und sich anfühlte. Um Augenblicke greifbar zu machen, wird gerne ein Vergleich gezogen. Ich versuche mich darin und überlege, ob ich jemals etwas vergleichbares erlebt habe … Nein. Noch nie.

Irgendwann erreichen wir den Grenzposten. Mitten im Nichts, denn ringsum befindet sich nur Wüste. Der Stempel im Pass bescheinigt mir die Ausreise, doch bevor wir nach Mauretanien einreisen, wartet das Niemandsland auf uns.

Grenzübergang Westsahara Mauretanien
Grenzübergang Marokko Mauretanien
Niemandsland Westsahara

„No mans land“, so steht es in der Karte. Wir passieren den einzig offiziellen Grenzübergang auf den Weg in den Süden. Uns entgegenkommend reiht sich wieder ein LKW an den nächsten, lange Schatten auf den löchrigen Boden werfend. Etwas abseits der Straße stehen und liegen hunderte Autowracks, ausgeschlachtet, bis nur noch eine rostige Karosserie übrig geblieben ist. Einige größere Fahrzeuge sind mit Planen und Tüchern abgedeckt, wenn der Wind sie etwas zur Seite weht, sieht man dahinter provisorische Behausungen. Wir passieren einen blauen 4er Golf, dem die Frontscheibe, alle Seitentüren und die Motorhaube fehlen. Kurz darauf fährt genau dieses Auto mehrmals an uns vorbei, als wir am Straßenrand auf die Weiterfahrt warten.

Die ganze Szenerie um uns herum wirkt absolut surreal und fern von jeder Realität. Ich schaue mit offenem Mund nach links, mit zusammengekniffenen Augen nach rechts und kopfschüttelnd nach vorne. Nur in Schrittgeschwindigkeit geht es vorwärts, bis nach 4 Kilometern die Straße abrupt im Nichts endet. Der Belag, eh schon kaum durchgängig vorhanden, geht in riesige Schlaglöcher über und hört dann irgendwann komplett auf. Auf einer Anhöhe schräg über uns stehen zwei weiße Fahrzeuge der UN, Militärbeobachter, und wachen über die Einhaltung des Anfang der 90er Jahre zwischen Marokko und der Frente Polisario vereinbarten Waffenstillstands. Der Westsahara-Konflikt ist seit 40 Jahren ungelöst und doch bekommt man bei uns zu Hause kaum etwas davon mit. Ein paar kleine Felsen versperren den direkten Weg geradeaus und tiefe Bodenwellen, mit Weichsand gefüllt, machen das Vorwärtskommen schwierig. Die Spuren führen linksherum und wir folgen mit pochendem Herzen. Ein paar Fahrzeuge fahren sich fest, wir schaffen es mit Schwung und einigen Schlägen gegen den Unterboden durch diese Passage. Kurze Zeit später halten wir uns wieder rechts, Richtung Süden, dem mauretanischen Grenzposten entgegen. Was folgt, ist ein Roadtrip durch Mauretanien, eine Mischung aus warm, schmutzig, karg und herzlich.

Dust & Diesel Rallye #3: Kurz mal durch die Westsahara.
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Gerne möchte ich euch noch ein paar Links zur Recherche über den Westsahara-Konflikt empfehlen: Bei Fluter findet ihr Informationen über die Sahrauis in Wort und Bild. In diesem Video auf YouTube wird der Konflikt anschaulich erklärt. Und auch der Deutschlandfunk liefert Einblicke in die Flüchtlingscamps und die dort lebende Menschen.

Weitere Artikel über die Dust & Diesel Rallye wurden bereits mit dem Auftakt und dem Roadtrip durch Westeuropa und der Rallye kreuz und quer durch Marokko veröffentlicht.

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2 Kommentare

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Finn 24. April 2023 - 10:48

Großartiger Reisebericht, um einen Eindruck über die Region und politische Lage zu bekommen. Danke dafür.

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Elisa | take an adVANture
Elisa | take an adVANture 25. April 2023 - 13:10

Hallo Finn,

das freut mich – ich danke dir für deine Worte. :)

Lieben Gruß
Elisa

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