Dust & Diesel Rallye #2: Kreuz der Quere durch Marokko.

von Elisa | take an adVANture
Dust and Diesel Roadtrip Marokko

Rallye Marokko. Vor ein paar Jahren, als ich in einem kleinen Fischerdorf an der Atlantikküste in Marokko saß, Minztee trank und Tajine aß, hätte ich nicht gedacht, dass in der Zukunft dieses Land zu den von mir meistbereisten gehören wird. Bereits das dritte Mal bin ich jetzt hier. Und obwohl es in meinen Augen nicht das schönste, freundlichste oder spektakulärste beherbergt, was ich je gesehen bzw. erlebt habe, strahlt Mensch und Natur eine Faszination aus, die mich sicherlich auch ein viertes, fünftes und sechstes Mal hierher reisen lässt. Dem Surfen in Taghazout folgte ein Roadtrip von Fez nach Marrakech und dem wiederum die folgenden Zeilen über eine Rallye für Jedermann.

Tanger – Chefchaouen.

Das Geld ist gewechselt, die Versicherungen sind abgeschlossen und die Dieseltanks gefüllt. Nach knapp 2.700km auf europäischem Festland und vierzehn Kilometern auf Hoheitsgewässern beginnt jetzt endlich die eigentliche Reise. Mit Tanger betreten wir das Tor zu Afrika, das uns mit offenen Armen willkommen heißt.

Noch ist der eigene Geist nicht angekommen, er hängt irgendwo zwischen Spanien und Marokko fest. Der Verstand läuft also auf Sparflamme und nimmt Gerüche, Farben und Eindrücke vorerst nur am Rande wahr. Die ersten Fotos sind Schnappschüsse ohne Inhalt. Überraschenderweise ist es ein sanfter Einstieg in das Land, mit Frühlingsblühern, grünen Wiesen, blauen Seen und kleinen Verkehrsstörungen gefolgt von melodischen Hupkonzerten.

Zu diesen Momenten gesellt sich bald schon die Tatsache, dass alte Autos oft komische Geräusche machen: Irgendein Blech ist regelmäßig locker, es fehlt mindestens eine Schraube oder ein Gewinde löst sich von was auch immer. Da wird von Kardanwellen gesprochen, über Getriebeöl philosophiert oder sich vor gebrochenen Spurstangen gefürchtet. Der Bus, mit dem mein Mann und ich unterwegs sind, ist immerhin schon 26 Jahre alt und hat über 300.000 Kilometer auf dem Tacho. Mit jedem weiteren Meter gewöhnt man sich mehr an das Klopfen und Kratzen, das entweder aus dem Motor oder einem der Radkästen kommt. Bei neuen Geräuschen aber, da wird man hellhörig und verfällt in einen extrem wachsamen Zustand, in Kombination mit leichten Adrenalinschüben.

Dust and Diesel Chefchaouen Skyline
Dust and Diesel Chefchaouen Katze
Dust and Diesel Chefchaouen Tür

Wir befinden uns auf dem Weg in Richtung Chefchaouen, der Blauen Stadt, und haben Tanger bereits seit zwei Stunden hinter uns gelassen. In Kolonne kämpfen sich die vier Busse die steile Straße hinauf und plötzlich hören wir ein rhythmisches Klackern vom Reifen rechts vorne. „Klack-Klack-klackklackklack.“

In solchen Momenten sind die Sinne geschärft und man hält den Atem an. Die Diagnose nach Gehör läuft auf einen Defekt der Antriebswelle hinaus. VW-Busse jeden Alters gehören in Deutschland zu den beliebtesten Reisemobilen. Hier in Marokko aber liebt man Mercedes und Ersatzteile für einen fast 30 Jahre alten Volkswagen Bus sind entsprechend schwer zu bekommen. Die Antriebswelle wird uns während der kompletten Reise noch einige Male Probleme bereiten, nichtsdestotrotz hält sie bis zum Schluss durch. Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht wissen, deswegen tauchen wir in das tiefe Blau von Chefchaouen mit gemischten Gefühlen ein.

Dust and Diesel Chefchaouen Teppiche
Roadtrip Marokko Chefchaouen
Dust and Diesel Chefchaouen

Blau vor Grün, mit bunten Klecksen. Im Hintergrund das Rifgebirge. Auch wenn die Länge meines Aufenthalts nur einem Wimpernschlag gleicht, die Gassen von Chefchaouen verzaubern bereits beim ersten Anblick. Andalusische Architektur trifft hier auf arabische Kultur, bis ins 20. Jahrhundert hinein war der Zutritt Nichtmuslimen verboten. Und das Blau der Fassaden schützt vor dem „Bösen Blick“, der Unheil bringt, so heißt es.

Chefchaouen – Fez – Marrakech.

Wir bleiben nicht lang. Am Abend erreichen wir bereits Fez, kämpfen uns am Stadtrand entlang, kochen eine warme Mahlzeit und stoßen auf die erste Nacht in Marokko an.

>>> Campingplatz: Camping International Fes, Route de Sefrou

Der weitere Weg via Fez nach Marrakech ist gespickt mit einer wunderschönen Fahrt durch die Ausläufer des Atlasgebirges. Wir starten kurz nach Sonnenaufgang, sind putzmunter, während der Rest des Landes erst langsam wach wird. Was folgt ist eine Strecke, die ich so bereits zwei Jahre zuvor gefahren bin. Damals innerhalb von vier Tagen, heute genügt mir einer. Ifrane kenne ich schon, den Stausee El-Hansali habe ich bereits ausgiebig bewundert und in Beni-Mellal einige Stunden verbracht. Nur jetzt biegen wir danach nicht ab, sondern nehmen den direkten Weg.

Dust and Diesel Marokko Hinterland

In den Bergen erstreckt sich das saftige Grün des Frühlings über die Hügel, bis weit noch hinter den Horizont. Blumen in Violett und Orange bilden kleine Farbtupfer, man hört Bienen summen und hier und da ein Wasser plätschern. Diese Idylle muss sich unsere Aufmerksamkeit mit den schmalen Straßen teilen und die wiederum teilen wir uns mit großen überladenen LKWs. Bei vier Fahrzeugen dauern dann Überholmanöver etwas länger und die kurvenreiche Wegführung versperrt zusätzlich die Sicht auf den Gegenverkehr. So wird die Strecke eine Mischung aus Warten, Schauen und Aufpassen und ich sehe im Rückspiegel, wie immer mal wieder ein grauer Schatten hervorlugt und Momente später zum Überholen ansetzt. Wir kommunizieren über Funkgeräte und geben damit Auskunft, ob die Straße auf den nächsten Kilometern frei ist.

Dust and Diesel Richtung Marrakech

Je näher wir Marrakech kommen, desto lebendiger werden die Straßenränder und skurriler die Momentaufnahmen. Aus Garküchen dampft weißer Rauch, Tierkadaver hängen in der prallen Sonne oder werden gerade frisch zerlegt. Eigentlich ist es ja nur der Alltag einer anderen Kultur, trotzdem aber immer wieder faszinierend zu beobachten.

Aus dem Grün der Berge wird das Braun der Häuser und geht über in ein Grau der sich aneinanderreihenden blechernen Werkstätten. Es werden Reifen montiert, daneben Motoren zerlegt, ein Gebäude weiter Kühlschränke verkauft und gleich im nächsten findet man kleine pinke Fahrräder mit weißen Körbchen und silbernen Quasten am Lenkrad. Die Erde ist schwarz vom Ruß und Öl, auf Plastikstühlen hocken Männer und trinken Tee, den marokkanischen Whiskey. Mopeds, auf denen sich manchmal vierköpfige Familien befinden, drängeln sich durch die immer voller werdenden Straßen.

Dust and Diesel Straßen Marrakech

Ich mag diese Art des Verkehrs, sehr sogar. Es ist spannend und man benötigt seine ganze Konzentration. Trotzdem findet man hier nicht das aggressive Fahrverhalten einiger Mitmenschen aus Deutschland, die Hupe ist kein Aufschrei der Entrüstung, sondern nur eine kleine Geste der Aufmerksamkeit. Drängeln gehört zum guten Ton, niemand beharrt auf seinem Recht und in jeder Lücke in der Größe eines Smarts ist Platz für mindestens einen VW T4.

Marrakech.

Mit Marrakech verbindet mich eine Hassliebe. Verliebt bin ich in die Architektur, in die vielen Farben und Gerüche. Auch das Leben dort ist etwas, was es zu besuchen lohnt. Verhasst ist mir aber die Abzocke, die sich hinter jeder Kurve nicht einmal versteckt, sondern ganz offensichtlich auf einen wartet. Und ich falle selbst noch nach meinem dritten Besuch darauf herein.

Wir haben einen Tag Zeit und füllen eben diesen mit Gesprächen und einer Fahrt ins Stadtzentrum. Djemaa el Fna, der Platz der Toten, Gehängten und Märchenerzähler, ist das Ziel, genauso wie der Souk nebenan.

Marrakech Souk
Marrakech Souk Keramikstand
Marrakech Souk Grafitti

Der Souk ist ein Labyrinth. Ein Ort ohne Karte, ein Gewirr aus Geruch, Geschmack und Farbe. Hier hilft nur sich treiben lassen und den Drang nach Orientierung zu verlieren.

Der Djemaa el Fna, Hauptplatz und Mittelpunkt Marrakechs, entfaltet erst zum Einbruch der Dunkelheit seine ganze Magie – für den, der es erträgt. Für mich ist es leider nur ein Haufen Chaos, zu laut, zu aggressiv, zu sehr Täuschung und Gaunerei.

Marrakech Djemaa el Fna
Marrakech Djemaa el Fna bei Nacht
Marrakech Djemaa el Fna bei Nacht

Wir landen mit Schlangen auf den Schultern, neonfarben-leuchtenden Flugobjekten im Augenwinkel und blendend-blickender Beleuchtung bei einem der vielen Essensstände auf dem Markt. Mit einer Mischung aus Faszination, Reizüberflutung und purer Genervtheit. Mir fehlen die Gaukler, das 1001-Nacht und jede Menge orientalisches Flair. Vielleicht bin ich aber einfach auch nicht die richtige Person für das, was den Platz ausmacht.

Für Fotos von oben empfehle ich den Gang ins Café France, wo man für Speis und / oder Trank einen Blick auf das Treiben werfen darf.

>>> Campingplatz: Camping Le Relais de Marrakech

Marrakesch – Hoher Atlas – Dadestal

Vor uns liegt der Hohe Atlas, eine Gebirgskette, deren massiger Körper schon so manche Sehnsüchte geweckt hat – meine eingeschlossen. Nur noch die Bergspitzen weit oben sind weiß gezuckert, der restliche Farbverlauf reicht von Rostrot bis Rostbraun in allen Nuancen. Ich genieße jede Kurve, die jetzt, einige Höhenmeter weiter Richtung Sonne, immer steiler werden. Der Verlauf der Straße wirkt, als hätte jemand einen langen grauen Faden geworfen, der sich dann ganz willkürlich an die Hänge der Berge schmiegte.

Auf knapp 2.300m erreichen wir den höchsten Punkt unserer Reise, den wir sogar namentlich benennen können: Tizi n’Tichka. Der Gebirgspass wurde früher hauptsächlich von Berberstämmen genutzt, seit den 60ern sind es aber eine Vielzahl größerer und kleinerer Fahrzeuge, die sich die eine Seite rauf und die andere Seite wieder runter quälen. So auch wir, bergab aber auf einer weniger befahrenen Route.

Gebirgspass Tizi n'Tichka
Marokko Hoher Atlas Gebäude aus Lehm
Roadtrip Marokko Ounila Tal

Wir fahren eine ganze Weile auf einer Hochebene entlang, ca. 1.900m üNN, und bewundern die Aussicht. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Mir zeigt sich eine pittoreske Landschaft, ich sehe die Berghänge des Hohen Atlas, spüre den frischen Frühlingswind auf der Haut, die intensive Höhensonne kitzelt in den Augen, die Luft ist klar und ich atme tief ein. Diese Kilometer gehören zu den schönsten.

Im weiteren Verlauf ist das Ounila-Tal das Objekt unserer Begierde. Zum Rot der Landschaft, dem Blau des Himmels und dem Grau unserer VW-Busse gesellt sich ein intensives Grün, das sich als Lebensader durch die meist trostlosen Hochtäler zieht. Oben dezent hügelig auslaufend, wirkt die Oberfläche durch diese Adern wie aufgerissen und die Palmenoasen einer Fata Morgana gleich. Es scheint, als wären die Häuser der Berberdörfer, mit den mit Stampflehm verputzten Außenwänden, aus der Erde gewachsen. Als wären sie eins mit der Umgebung und würden sich nur im richtigen Blickwinkel zeigen. Die restliche Zeit bleiben sie vor dem gleichfarbigen Hintergrund verborgen.

Architektur im Dadestal
Gebäude im Dadestal
Straße in Dadesschlucht

Die Bergflanken des Atlasgebirges jetzt im Rücken und die Straße der Kashbahs vor uns, mit einem Horizont, der in der Hitze der Nachmittagssonne flimmert. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir das Dadestal und lassen uns noch einmal von dem verzaubern, was Mensch und Natur gleichermaßen dort geschaffen haben.

Dadestal – Erg Chebbi

Waschbrettpisten machen nur auf den ersten Hundert Metern Spaß. Danach ist auch die letzte Vibration im Körper angekommen und es dröhnt eintönig im Kopf. Beschleunigt man aber auf ca. 80 km/h, dann fliegt das Auto über die Bodenwellen und das Fahrgefühl bekommt einen ganz neuen Höhepunkt. Man sollte nur bei dieser Geschwindigkeit das Lenkrad nicht verreißen, denn sonst wäre die Reise abrupt beendet.

Wir sind am nördlichsten Punkt vom Erg Chebbi angekommen, der kleineren der beiden Ergs in Marokko. Noch sehen wir die Dünenlandschaft nur in einiger Entfernung, aber schon die Nacht werden wir inmitten ihrer östlichen Ausläufer verbringen. Zuerst müssen aber die Autos aller Rallye-Teilnehmer für diese Fahrt vorbereitet werden. Ein Bar je Reifen, höher darf der Luftdruck zwischen Felge und Gummi nicht sein. Ich drücke mit der geschlossenen Spitze eines Kugelschreibers in das Ventil und die Luft entweicht zischend in Richtung Wüstensand. Unter normalen Umständen wäre das wohl eines dieser besorgniserregenden Geräusche, in dem Moment aber ist es bei den 23 Autos und 92 Reifen pure Absicht und ein Muss, um sich im Weichsand nicht festzufahren. Denn der lässt seine Opfer nur ungern wieder los.

Dust and Diesel Wüste Erg Chebbi
Erg Chebbi Kamele
Dust and Diesel Marokko Erg Chebbi

Es geht in Kolonne weiter, immer östlich des Erg Chebbi entlang. Wir queren ein schmales Wadi, kaum drei Metern breit und vielleicht einen Meter tief, in dem sich ein flache rostrote Pfütze befindet. Das Fahrzeug vor uns gibt ordentlich Gas und schleudert dabei eine Ladung Schlamm auf unsere Windschutzscheibe. Was in dem Augenblick nach einem kleinen Malheur klingt, entpuppt sich ein paar Sekunden später als etwas, was wir so nicht erwartet hätten. Beim Betätigen des Hebels für die Scheibenwaschanlage bricht dieser genau in dem Moment ab, als die Düsen das Wasser-Seifen-Gemisch auf die Scheibe sprühen und die Scheibenwischer sich in der höchsten Stufe mit hoher Geschwindigkeit von rechts nach links bewegen. Etwas irritiert schweift mein Blick Richtung Fahrerseite, dann auf das verschmiert-chaotische Wedeln und Sprühen vor uns und wieder zurück zur Fahrerseite. Von dort schauen mich nur ratlos große Augen an, in der einen Hand den abgebrochenen Hebel, die andere fest am Lenkrad. Bei dem Gedanken daran, dass der erste richtige Schaden am Auto der ist, dass uns der Scheibenwischerhebel in einer eigentlich staubtrockenen Wüste abbricht, muss ich nach dem ersten Schreck lachen. Schlussendlich hilft nur das Ziehen der entsprechenden Sicherung, von nun an fahren wir ohne Hebel und mit leerem Wischwasserbehälter weiter.

Im weiteren Verlauf wird der Sand immer weicher. Die Fahrzeuge fangen an zu schwimmen und das Halten der Spur bedarf jeder Menge Konzentration. Wir kommen zwar nur langsam voran, dafür blickt mir aber aus jedem Auto ein verschwitzt freudestrahlendes Gesicht entgegen. Unser Nachtlager schlagen wir am Rand der großen Dünen inmitten vieler kleiner auf.

Dust and Diesel Nachtlager Erg Chebbi
Dust and Diesel Erg Chebbi
Dust and Diesel Camping Erg Chebbi

Wir parken die Busse im Quadrat. Zwar etwas schief, vielleicht eher einem Rhombus gleich, aber der Effekt ist der gleiche: geschützt vom Wind und ein bisschen Schatten spendend. Der Biertisch dient als Küche, die Bänke als Ablage und zum Abendessen gibt es einen Campingklassiker: Nudeln mit Tomatensoße. Die schmecken immer, egal ob am Meer, im Wald oder in der Sahara. Den Umstand, dass wir uns in eben dieser befinden, genießen wir ein paar Augenblicke später auf einer der größeren Sanddünen, bei einem Bier und dem Untergang der Sonne – einem der schönsten und ältesten Naturschauspiele der Welt. Aufgeführt mit immer der gleichen Besetzung, jedoch trotzdem nicht einen Moment an Magie verlierend. Und wir sind ein dankbares Publikum.

Heck- und Seitentür vom Bus bleiben diese Nacht offen, denn mittlerweile hat sich eine feine Schicht aus Schweiß und Staub über unsere Körper und das Bett gelegt und wir hoffen auf einen leichten Luftzug und ein wenig Abkühlung.

Erg Chebbi – Merzouga

„Elisa, hörst du mich?“ Das Funkgerät rauscht etwas, aber ich verstehe ihn dennoch deutlich. „Setz dich in den Bus und komm schnell rüber … es lohnt sich. Halte dich einfach hinter den Kamelen links und dann siehst du uns schon.“ Die Orientierungspunkte am Rande einer Wüste beschränken sich nunmal auf das Offensichtliche. Ich setze mich ins Auto, werfe den Motor an und fahre langsam in die Richtung, in der ich die anderen vermute. Hinaus aus dem Hof der lehmfarbenen Auberge, innerhalb deren Mauern sich unser Campingplatz befindet.

Die Kamele stehen noch immer dort, wo ich sie zuletzt gesehen habe, wartend auf die Tagestouristen, um sie auf ihrem Rücken der Reihe nach über die Düne zu tragen. Die Fahrt dauert keine drei Minuten. Doch kurz vor Ankunft passiert mir genau das, was eigentlich hätte nicht passieren sollen. Ich schalte im Weichsand vom zweiten in den ersten Gang, verliere dabei den Schwung und bleibe sofort stecken. Ich gebe zweimal Gas, fahre mich so noch weiter fest, und mache kurz darauf den Motor einfach aus. Wir müssen aus den Reifen wieder Luft entweichen lassen. Die haben wir nämlich ein paar Stunden zuvor reingepumpt, als auf dem weiteren Weg nach Merzouga der Sand in Asphalt überging.

Dust and Diesel Merzouga
Dust and Diesel Roadtrip Marokko Erg Chebbi
VW T4 Rallye Marokko

Jetzt aber befinden wir uns westlich der Dünenlandschaft, haben in den letzten Stunden das Erg südlich umrundet, und die Ausläufer dessen sind verflucht verlockend für ein paar Runden auf eigene Faust. Kaum ist die Luft raus, schiebt sich der Bus fast von alleine und ohne Probleme über die leichte Verwehung.

Ich lasse mir noch einmal erklären, wie ich mit einem 2WD auf einer 4WD Strecke unterwegs sein muss. Der Hinweis Nummer Eins besagt, ich soll nicht viel nachdenken, sondern einfach machen und auf keinen Fall zögern. Sonst würde ich mich ziemlich schnell wieder festfahren. Hinweis Nummer Zwei lässt mich an meinem Wissen über Autos zweifeln: Lieber hochtourig fahren, wenig bis garnicht schalten und keine Rücksicht auf Verluste nehmen. Zumindest fast, denn schließlich soll das Auto für die nächsten hunderte Rallye-Kilometer noch intakt bleiben. Nun gut. Da sitze ich also hier, barfuß, die Hände schwitzen und ich habe absolut keine Ahnung.

Dust and Diesel Rallye Marokko
VW T4 Offroad Marokko
Erg Chebbi Wüste Marokko

Ich gebe Gas und schalte vom ersten in den zweiten Gang. Der Motor dröhnt und wird mit jeder höheren Drehzahl lauter. Ich halte gerade auf die Verwehung drauf zu, erhöhe die Geschwindigkeit und schon schlingert der Wagen. Kurz nach rechts, dann nach links, bergab fängt er sich wieder. Danach folgt der zweite Hügel. Der Unterbodenschutz aus 3 mm Stahlblech schlägt mit Wucht an den Sandhaufen, es rumst ordentlich und schon greifen die Reifen wieder nach dem festeren Stein-Sand-Gemisch. Es macht wahnsinnig viel Spaß und die Anspannung in meinem Gesicht weicht einem breiten Grinsen. Nur der Körper, der hält sich noch immer krampfhaft am Lenkrad fest und kleine Adrenalinschübe lassen Hand und Fuß zittern.

Tajine, Harira und eine saubere Dusche runden den Tag final ab.

>>> Campingplatz: Auberge Camping Ocean des Dunes

Merzouga – Zagora

Die Spuren der ehemaligen Rallye Paris-Dakar muss man nicht lange suchen, sie sind hier, am Rand zu Algerien, ziemlich offensichtlich. Wir verlassen wieder einmal den Asphalt und tauschen festes Grau gegen loses Braun unter den Rädern. Die Hitze wird jetzt mit jedem Grad, das die Sonne nach oben steigt, unerträglicher. Staub und Dreck dringen durch Ritzen und Rostlöcher ins Fahrzeuginnere und setzen sich wie ein feiner matter Film auf Haut und Haaren, Kamera und Bett.

Trostlos und faszinierend zugleich zeigt sich mir eine Steinwüste, die neben der berühmtesten aller Rallyes schon so einige andere 4×4 Autorennen beherbergt hat. Faustgroße Steine scheppern im Takt gegen den Unterboden und nur ein immer wiederkehrendes „Achtung“ aus dem Funkgerät weckt uns aus der Eintönigkeit. Trotzdem gehören für mich diese Etappen zu den interessantesten. Zum einen, weil man unter normalen Umständen wohl nie mit einem einfachen PKW dort entlang fahren würde, zum anderen, weil hier die Natur den Takt angibt.

Dust and Diesel Rallye Marokko
Dust and Diesel Steinwüste
Zagora Souk

Plötzlich auftretende Sandstürme sind keine Seltenheit. Die Vegetation ist spärlich, spendet nur wenig Schatten, und im Hintergrund erheben sich flache Berge, zwischen deren Flanken wir hindurchfahren. Das Örtchen Fezzou ist ein Anhaltspunkt und taucht in der Kargheit so schnell auf, wie wir es auch wieder verlassen. Außerdem ändern wir hier die Richtung, statt Süden ist es jetzt der Südwesten, der sich irgendwann komplett in der Landschaft verliert.

Oberhalb von Oumjrane treffen wir wieder auf Weg und irgendwo bei Aït Tlagelou auf Straße. Hier verläuft neben der N12 eine alte Piste der Rallye Paris-Dakar und wer möchte, der kann sich auf eine holprige Fahrt auf eben dieser begeben. Ein- und Ausfahrmöglichkeiten gibt es zu genüge, eine extrem hohe Aufmerksamkeit sollte man aber den vielen Auswaschungen und Bodenrillen widmen.

Zagora im Draa Tal in Marokko
bunte Tücher an Stand in Zagora
Zagora Campingplatz

Am späten Nachmittag erreichen wir mit Zagora eine Oasenstadt im Drâa-Tal. Und erst jetzt stellen wir fest, dass durch das etwa faustgroße Rostloch im Fahrerraum, durch weitere verrostete Stellen an der provisorisch geschweißten Schiebetür und durch die beiden Flügeltüren im Heck so viel weiterer Schmutz ins Innere gelangt ist, dass wir die folgenden zwei Stunden mit Putzen, Schütteln und Kehren verbringen. Es riecht nach Dust und Diesel und somit ist der Name wohl Programm.

>>> Campingplatz: Camping Oasis Palmier

Zagora – Guelmim

Sobald wir im Auto sitzen, geht der erste Griff in Richtung Fensterkurbel. Wir starten oft kurz nach Sonnenaufgang, um die noch angenehmen Temperaturen durch die offenen Seitenscheiben genießen zu können. Denn dann weht ein kühler Hauch in mein Gesicht, durch meine Haare und eine leichte Gänsehaut kitzelt am Körper.

Später wandelt sich das Lüftchen in einen heißen Fön und die Kleidung klebt wieder verschwitzt an Rücken und Schenkel. Die alten verschlissenen Sitze haben wir mit Tüchern und Decken abgedeckt, denn die Sonne würde den Leder-Gummi-Mix über den durchgesessenen Polstern so sehr erhitzen, dass wir uns beim Kontakt mit der nackten Haut verbrennen würden. Ich atme tief ein und konzentriere mich auf das Wummern des Motors, der an der halben Millionen näher dran ist, als an der Null.

Landschaft im Draa Tal
Ziegenhirte in Marokko
nahe der Kaskaden von Attiq

Wir müssen scharf bremsen, als vor uns ein Hirte mit gut 200 schwarz-weißen Ziegen die Straße überquert. Der Mann ist dürr, sein Gesicht schützt er mit einem Tuch, nur die Partien um seine Augen herum zeigen eine sonnengegerbte Haut. Das muss ein hartes Leben sein, was er führt, mit und in der Natur. Mittlerweile befinden wir uns im Antiatlas und der Ausblick auf die vorbeiziehende Landschaft löst wieder dieses besondere Gefühl in mir aus, das ich nur schwer beschreiben kann. Würde ich es versuchen, dann würden Worte wie Fernweh, Abenteuerlust, Freiheit, Dankbarkeit und das Streben nach mehr darin vorkommen.

Bücher über andere Länder, über den Alltag dort, über Kulturen, über und von Abenteurern und Entdeckern, gehören seit ich Denken kann zu meiner bevorzugten Abendlektüre. Ihre Geschichten und das Erlebte faszinieren und inspirieren mich. Und in solchen Momenten wie jetzt, wo alles möglich erscheint und nur das Hier und Jetzt wirklich relevant ist, da weiß ich um die Gefühle und Gedanken und deren innerer Antrieb.

Ruine in Marokko
Frauen auf Eseln in Marokko
Camping Bou Jerif

Nicht ganz aus Versehen lande ich später, unsere kleine Kolonne anführend, auf der eher schlechter zu fahrenden Strecke als Alternative auf dem Weg zum Nachtlager. Wir queren ein fast ausgetrocknetes Flussbett und die Redensart „über Stock und Stein“ fast die paar Kilometer perfekt zusammen.

An diesem Abend brauche ich einen Moment für mich. Ich klettere auf das Dach unseres Busses und beobachte bei einem eiskalten Bier den Sonnenuntergang. Unten köchelt ein Gemüsecurry aus frischen Zutaten und in den Geruch der Gewürze mischt sich das Lachen meiner Freunde. Wann war ich nur das letzte Mal so zufrieden?

>>> Campingplatz: Fort Bou-Jerif

Guelmim – Westsahara

Nachdem wir die vergangenen Tage unserer Reise im Landesinneren unterwegs waren, freuen wir uns jetzt auf die raue Atlantikküste. Dort, wo Klippen steil ins Meer stürzen und die See bricht. Wir finden nach kurzer Zeit eine Stelle, die sanft ausläuft und uns hinunter zum Meeresspiegel bringt. Anstatt aber die Aussicht zu genießen, die Füße ins kalte Wasser zu tauchen oder das Handtuch auszupacken, stehen wir an einem Strand voller Plastikmüll, den Stürme an Land gespült haben.

Plastikflaschen, Plastikbecher, Plastikspielzeug und synthetischer Dreck, direkt aus dem Meer, frisch serviert oder schon Jahre dort liegend. Fast automatisch fangen wir an den ganzen Schrott aufzusammeln und ihn in Säcken zu verstauen. Was machen wir Menschen denn gerade mit unserer schönen Erde, in einem Wahn aus Selbstzerstörung und purer Ignoranz?

Rallye Marokko
Fischer am Atlantik in Marokko
Rallye Marokko Atlantik

Nur ein paar Kilometer weiter finden wir ein Schiffswrack keine hundert Meter vom Ufer entfernt, eine Fähre, die 2008 havarierte und seitdem im Salzwasser vor sich hinrostet. Die Assalama war die letzte direkte Verbindung von hier auf die Kanaren, die nach dem Unglück eingestellt wurde. Bei Google als historische Sehenswürdigkeit markiert, ist es eher ein Zeugnis modernen menschlichen Versagens und ein weiteres Sinnbild des heutigen Tages.

Fischer auf Moped in Marokko
Schiffswrack Assalama

Kurz darauf passieren wir die Grenze zur Westsahara, die aber als solches nur auf Karten erkennbar ist. Als eine gestrichelte gerade Linie, von Algerien bis zum Atlantik. Was folgt, das ist eine andere Geschichte.

Dust & Diesel Rallye #2: Kreuz der Quere durch Marokko.
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Falls ihr etwas mehr über das „Wie“ und „Warum“ dieser Reise wissen möchtet, über diese Rallye durch Marokko und darüber hinaus, dann schaut euch den ersten Beitrag der Artikelserie an, den Auftakt mit einem Roadtrip durch Westeuropa. Und falls ihr im Anschluss etwas über das Ende dieser Tour erfahren wollt, dann empfehle ich euch den Artikel über einen Roadtrip durch Mauretanien.

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